Samstag, 1. November 2008

Religiöse Reden die 2.

Ich möchte mit Euch heute Morgen über eine Geschichte meditieren, die etwas sonderbar bzw. etwas uns modernen Menschen einiges abverlangt. Mk 5, 1-18.

Wenn es stimmt, dass die Evangelien mehr Informationen über die Situationen in den Gemeinden enthalten, als über das Leben Jesu, dann muss ich mich fragen: Was hat den Evangelienschreiber dazu bewogen, eine solche Erzählung zu komponieren und was hat die Schreiber des Mt und Lk Evangeliums dazu veranlasst, diese Geschichte wenn auch mit Änderungen vom Autor des Mk-Evangeliums zu übernehmen?
Vielleicht hatte der Schreiber eine persönliche Erfahrung mit Exorzisten in seiner Gemeinde gemacht, oder aber es gab Anfragen, wie denn mit sogenannten Besessenen umzugehen sei?
Wie auch immer, eines wird mir deutlich, wenn ich diese Geschichte lese: Ein großes „So bitte nicht“!!!
Ohne jetzt weiter tiefgehend psychologisch das Krankheitsbild des Mannes zu analysieren, scheint es sich hier um einen Menschen zu handeln, der für die Gesellschaft offensichtlich nicht mehr tragfähig ist. Er passt in keine Gruppe, so viel Mühe man sich auch mit ihm gibt, er sprengt alle noch so gutgemeinten Fesseln, die ihn halten und vielleicht auch vor sich selbst beschützen wollen. Ich denke, dass wir solche Menschen auch kennen, Menschen, denen es einfach schwer fällt in dieser Gesellschaft, die auf Leistung aufgebaut ist, zu leben. Wir geben uns die größte Mühe mit ihnen, bringen sie in besonderen Schulen unter oder errichten Wohnheime, bieten unsere Räume für diese Menschen an. Und immer wieder müssen wir erleben, dass sie die noch so gutgemeinten „Fesseln“ zerreißen und ihren eigenen Weg gehen und sich dabei oft sehr wehtun.

Was ist die Lösung?
Nun eine Lösung wird uns hier vorgestellt, doch wie ich anfangs schon sagte, erscheint mir diese Lösung schon unter der Überschrift des „Neins“ zu stehen.
Unser Mensch in der Geschichte sieht Jesus auf sich zukommen und läuft ihm entgegen. Er wirft sich vor ihm nieder und redet Jesus mit einem christlichen Bekenntnis an „Jesus Sohn Gottes“ und er bittet Jesus, ihn nicht zu quälen.
Dazu fällt mir ein Satz ein: „Eigentlich müsste es doch so und so sein“. Scheinbar wissen wir Menschen, dass es eine Spannung gibt zwischen dem wie es ist und dem wie es sein soll. Wir tragen alle unsere Idealbilder mit uns herum und womöglich werden wir diese Idealbilder niemals erreichen. Niemals werden wir Superchristen sein, auch als Hauptamtliche nicht. Wir werden mit unserer Arbeit wohl immer gewissen Ansprüchen hinterher sein.
Und in Bezug auf die Geschichte sollten wir wach sein und uns selbst kritisch befragen: Kann es sein, dass ich ein Christsein verkündige, was ständig zu Konflikten zwischen Herz und Verstand führt, dass ich Idealbilder predige und selbst versuche zu verwirklichen? In jedem Fall kann es sein, dass unsere Idealbilder zur Qual für andere und für uns selbst werden.

Das Ende der Qual wird uns schon innerhalb der Geschichte an sich als absurd hingestellt.
Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass die „bösen Geister“ hier mit Jesus einen Deal machen und ihn fragen, ob sie quasi gehen dürfen. Damit ereignet sich nichts anderes als das, was wir doch tagtäglich erleben, dass nämlich, das Negative, unsere dunklen Seiten nach außen drängen und sich an Anderen entladen. Sei es in Streit in Deklassierung des Anderen oder sogar in Gewalttätigkeiten. Als Deutsche können wir ein Lied davon singen, dem was wir an unserer Negativität im 3. Reich z.B. auf Juden projiziert haben.
Die Menschen in der Geschichte sind entsetzt über das, was geschehen ist. Denn offensichtlich wissen sie, dass man die Negativität und das, was uns von unseren Idealbildern und vom Anderen fernhält, nicht in den Griff bekommt, indem man es versucht loszuwerden. Einen solchen Jesus wollen sie nicht. Sie drängen ihn, ihr Gebiet zu verlassen.
In diesem Verständnis erscheint plötzlich der einst Besessene als ein ganz normaler Mensch. Er sitzt ganz normal wie jeder andere bekleidet und ganz ruhig vor Jesus. Markus will uns deutlich machen, dass wir das, was uns von unserem idealen Selbst – sei es religiöser oder säkularer Natur – trennt, nur in der Annahme dessen und nicht im Austreiben aus unserer Person erlangen können.

Ist das die Lösung?
Ja, aber scheinbar noch nicht ganz. Denn eine Hürde hat der einst Besessene noch zu nehmen. Er bittet Jesus, mit ihm kommen zu dürfen. Doch Jesus lehnt es ab. Er erlaubt es ihm nicht, sondern er schickt ihn dahin, wo er einst hergekommen ist, zu seiner Familie, in sein Dorf zurück. Und erst jetzt, so scheint mir, ist der einst Gefangene wirklich frei. Denn im Erleben des Alltäglichen will sich diese eben beschriebene Geschichte verwirklichen. Nicht dadurch, dass wir unser Leben zu etwas anderem machen, als es ist. Wir werden von Jesus zurückgeschickt. Dies ist eine Aufgabe für den Gerasener und eine Aufgabe für die Menschen, zu denen er zurückkehrt. Wie er sollen wir und sie lernen mit dem Negativen, Schwachen und Fremden in uns selbst und in der Gruppe umzugehen. Und zwar nicht so, dass wir es eliminieren oder an den Rand drängen oder gar auf Andere projizieren, sondern dass wir es verstehen lernen und als einen Teil von uns selbst betrachten.

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